EDITORIAL „November 2023 – Kommt die angekündigte Revolution im Gesundheitswesen?“
Montag, 23. Oktober 2023
Info 11-23

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Monat November weckt bei vielen Menschen in Deutschland Erinnerungen an tiefgreifende Umwälzungen oder zumindest deren Versuche. Aus der jüngeren oder länger zurückliegenden Vergangenheit und natürlich mit unterschiedlichen Vorzeichen und Ausgang. Die aktuellen tagespolitischen Geschehnisse bescheren fast täglich Anlass zu tiefer Nachdenklichkeit und Sorge – außen- wie innenpolitisch. Der Dialog in klassischem Sinne als Medium der Auseinandersetzung scheint aus der Mode gekommen zu sein. Zwischen Nachbarstaaten, innerhalb einer Volkvertretung wie etwa im US-Kongress oder auch in der gesundheitspolitischen Auseinandersetzung in unserem Land.
Wie anders als der Versuch des vermeintlich Stärkeren kann es gewertet werden, wenn im Stadium der Beratschlagung der geplanten Krankenhausreform während der durch Sommer und anstehende Landtagswahlen auferlegten Zwangspause, unter dem Mäntelchen der Qualitätssicherung, ein neues Bürokratiemonster namens Transparenzgesetz auf den Weg gebracht wird. Um damit eine zugefügte Scharte der Bund-Länder-Verhandlungen vom Sommer scheinbar auszuwetzen und durch die Hintertür die eigenen Vorstellungen doch noch durchzusetzen. Um in der klassischen Betrachtung zu bleiben: eindeutiger kann ein trojanisches Pferd kaum gebaut werden.
Untätigkeit wäre das letzte was man dem derzeitigen Gesundheitsminister und seinen Adlaten vorwerfen könnte. Auch die durch enge Zeitvorgaben geschickt herbeigeschaffte Notwendigkeit für eine Rechtsverordnung des BMG zur Regelung einer speziellen sektorgleichen Vergütung, den sogenannten Hybrid-DRGs, fällt in dieses Schema. In kleinem Umfang gestartet, mit vielen bürokratischen Hürden und fraglicher Umsetzbarkeit im Alltag – unabhängig, ob in der Klinik oder in der Praxis.
Hat dieser Minister wirklich all die Signale nicht vernommen, die ihm seit dem Sommer entgegenschallen – auf der Straße mit lautstarken Protesten der MFA und der Kliniken vor dem Brandenburger Tor, vor seinem Ministerium, wo Vertragsärzte ihre Arztkittel zu einem Haufen auftürmen und ihm symbolisch übergeben. Und nicht zuletzt an den Wahlurnen der letzten Landtagswahlen mit deutlichen Verlusten der Kanzler- und auch Gesundheitsministerpartei? Ist er vielleicht immun gegen die Proteste, weil er beseelt von seiner Sendung ist tatsächlich die Revolution im Gesundheitswesen mit Übergang in eine staatliche gelenkte Medizin herbeizuführen? Sollte diese Form der Politik mit der Brechstange, wie wir sie aus der derzeitigen Außenpolitik leider immer mehr kennen, auch zum Instrumentenkasten in unserer Gesundheitspolitik gehören?
Dagegen heißt es anzuarbeiten. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Die Selbstverwaltung ist keine Erfindung zum Selbstzweck, sondern ein hohes Gut des Gesundheitswesens, bei dem es darum geht das Arzt-Patienten-Verhältnis genau frei zu halten von externer Beeinflussung zum Nachteil der Solidargemeinschaft. Das gilt für Minister mit ideologischer Mission genauso wie für Kapitalverwalter, die die rasche Rendite vermuten.
Daher engagiert sich der BDR auch zusammen mit den anderen Verbänden im Spitzenverband der Fachärztinnen und Fachärzte, um unser ärztliches Selbstverständnis zu verteidigen – zusammen mit unseren Kolleginnen und Kollegen, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Praxen und im Krankenhaus. Und appelliert zum gemeinsamen Dialog zurückzukehren. Missachtung des Gegenübers ist auf allen Seiten ein schlechter Ratgeber, das Ringen um gemeinsame Ergebnisse der deutlich bessere. Der historische Novembermonat liefert ausreichend Beispiele dafür.
Für uns selbst gilt: sektorübergreifendes Arbeiten beginnt an vielen Stellen auch im Kopf der Beteiligten. Der BDR wird auch weiterhin seinen Beitrag intern und extern dazu leisten.
 

Prof. Dr.med. Hermann Helmberger
Präsident