Krebsdiagnose per Künstlicher Intelligenz
Samstag, 26. Oktober 2019
Berlin. Erstmals hat in Deutschland ein Unternehmen die Zulassung für ein Verfahren zur Krebsdiagnostik mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz erhalten. Die Berliner Firma Merantix Healthcare hat ein Verfahren entwickelt, das Ärzten beim Erkennen von Brustkrebs helfen soll. Dazu hat es mehr als zwei Millionen Mammografien ausgewertet. Das System kann nun selbstständig auffällige Aufnahmen von unauffälligen unterscheiden. Die Software sortiert die unauffälligen Befunde aus und gibt den Medizinern so Zeit, sich intensiver um auffällige Befunde kümmern zu können.
„Aufgrund des weltweiten Mangels an spezialisierten Radiologen haben Millionen an Frauen keinen Zugang zur Brustkrebsvorsorge“, sagt der Gründer des Unternehmens, Jonas Muff. „Zwar sind bis zu 97 Prozent aller Brustaufnahmen unauffällig, dennoch muss jedes Bild von mehreren Ärzten manuell beurteilt werden.“ Angesichts des Zeitdrucks sei das eine ermüdende und fehleranfällige Aufgabe für die Mediziner. Das System unterstützt die Ärzte nun darin, sich auf bestimmte Aufnahmen konzentrieren zu können. Das Programm ist bereits in Deutschland, Österreich, Polen und Spanien in Betrieb. Das Unternehmen wurde vor zweiweinhalb Jahren gegründet. Mittlerweile beschäftigt es 22 Mitarbeiter. Computerprogramm sortiert unproblematische Fälle aus Brustkrebs ist eine der häufigsten Krebs-Todesursachen für Frauen. Rund jede zehnte Frau erkrankt im Lauf ihres Lebens an der Krankheit. Wenn sie früh erkannt wird, bestehen gute Heilungschancen. Deutlich mehr als 95 Prozent der erkrankten Personen haben nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) eine Überlebenschance von fünf oder mehr Jahren. Fast neun von zehn Frauen überleben zehn Jahre oder länger nach der Diagnose. Die Firma Merantix Healthcare liegt mit ihrem Programm zur digitalen Bilderkennung im Trend, denn digitale Anwendungen haben einen immer größeren Einfluss auf die medizinische Diagnostik. „Das könnte zu einer großen Arbeitserleichterung führen“, sagt die Geschäftsführerin des Berliner Bundes der Radiologen, Sabine Lingelbach. „Künstliche Intelligenz als Assistenzsystem für den Arzt ist richtig und förderungswürdig.“ Angesichts des demografischen Wandels und der immer höheren Lebenserwartung nimmt die Zahl der Mammografien in der Radiologie ständig zu, so dass digitale Hilfssysteme eine deutliche Entlastung bringen könnten. Dass der Computer den Arzt einmal ersetzen wird, hält der Bund der Radiologen allerdings für unwahrscheinlich. Die Brustkrebsvorsorge ist ein aufwändiges Verfahren. Beim sogenannten Brust-Screening werden vier Mammografien erstellt, die von zwei Radiologen begutachtet werden müssen. Die Untersuchung wird für Frauen ab 52 Jahren von der Krankenkasse übernommen. Jährlich finden rund 2,8 Millionen dieser Untersuchungen in Deutschland statt. Künstliche Intelligenz ist derzeit das große Thema in der Digitalbranche. Dabei geht es um selbstlernende Maschinen. Nicht mehr die Programmierer geben vor, nach welchen Kriterien der Computer suchen und unterscheiden soll, sondern die Maschine lernt die entscheidenden Kriterien selber. Die neuen Möglichkeiten des Sammelns und Auswertens riesiger Datenmengen ermöglichen es KI-Spezialisten nun, Computer mit den Daten zu füttern und sich dann selbst bestimmte Charakteristika beizubringen. „Dadurch ergeben sich viele neue Möglichkeiten der Mustererkennung“, sagt der Präsident des Bundesverbandes Künstliche Intelligenz, Jörg Bienert. „Dazu gehören Effizienzsteigerungen für Unternehmen und die Verarbeitung von Dokumenten, aber auch neue Geschäftsmodelle.“ So wie bei Merantix Healthcare. Das Programm zur Früherkennung von Brustkrebs soll nur der Auftakt sein für weitere Anwendungen in anderen Gesundheitsfeldern. Derzeit wirbt das Unternehmen um weitere Fördergelder, um das System auch für Lungenkrebs und Hirntumore anzuwenden. Hier stellt sich die Diagnose jedoch komplizierter dar als beim Brustkrebs, der Lernaufwand für den Computer ist noch umfangreicher. In Berlin findet Merantix dafür den besten Hintergrund. Die Stadt hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Zentrum für Unternehmen entwickelt, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten. Schon jetzt sind 5000 Menschen in Unternehmen beschäftigt, die lernfähige Maschinen und Systeme entwickeln. In den kommenden Jahren wird sich die Zahl deutlich erhöhen. „Berlin ist der ideale Standort dafür“, sagt der Chef der Technologiestiftung Berlin, Nicolas Zimmer. „Hier besteht eine hervorragende Wissenschafts- und Forschungslandschaft, das kreative Potenzial und die Internationalität.“ In Berlin setzen derzeit Unternehmen, die sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen, rund 500 Millionen Euro um. In den kommenden fünf Jahren wird sich die Summe nach Prognosen der Technologiestiftung vervierfachen. Jedes dritte Unternehmen, das sich mit lernfähigen Systemen beschäftigt, hat seinen Sitz in der Hauptstadtregion, jede zweite Neugründung findet zudem in Berlin und Brandenburg statt. Die Medizin wird von der Bilderkennung profitieren Für Adrian Locher ist das Gesamtpotenzial der KI-Technologie noch schwierig zu quantifizieren. „Wir gehen davon aus, dass dadurch die Veränderungen unseres Lebens deutlich über das hinausgehen, was das Internet ausgelöst hat“, sagt Locher. Locher ist Mitgründer von Merantix, das sich auf den Aufbau von Start-ups konzentriert hat. „Der KI-Effekt wird noch einmal deutlich größer sein.“ Gerade die neuen Möglichkeiten der Bilderkennung werden in der Medizin große Fortschritte erzielen, ist sich Locher sicher. Allerdings ist die internationale Konkurrenz groß. Datengetriebene Konzerne wie Google oder Amazon forschen schon länger an der Bilderkennung, nutzen die Systeme aber ausschließlich selbst. |