Rückblick: Zi-Konferenz 2017 zur regionalisierten Versorgungsforschung
Donnerstag, 05. Oktober 2017
Info 10-17

Aus den Regionen lernen – Ein Gewinn fürs Ganze? Entscheidet der Wohnort schicksalhaft über unsere medizinische Versorgung?

Die Anforderungen an eine sichere und effiziente medizinische Versorgung steigen fortwährend. Aber die Versorgungsforschung dokumentiert, dass Inanspruchnahme und Erbringung medizinischer Versorgung geografischen Mustern folgen, die gleichzeitig Hinweise auf erhebliche Verbesserungs-potenziale beinhalten. Trotz einheitlicher Rahmenvorgaben sind der Zugang zu medizinischen Leistungen und die Versorgungsqualität insgesamt in allen Gesundheitssystemen räumlich höchst heterogen. Handelt es sich hierbei schlicht um Schicksal oder um ein Reservoir von guten Vorbildern? Besteht ein moralischer Gestaltungsauftrag, aus diesen Vorbildern zum Nutzen aller Patienten zu lernen? Und wenn ja, wie lässt sich dies effektiv umsetzen?

Ziel dieser Konferenz war es, insbesondere die Medizinischen Fachgesellschaften und die ärztlichen Berufsverbände in die Frage einzubeziehen, wie mit Erkenntnissen über regionale Unterschiede der Versorgung weiter umgegangen werden soll. Die Konferenz wurde von einer hohen Anzahl an internationalen Vorträgen geprägt, die in dieser Qualität und Dichte selten anzutreffen sind. „Regionale Versorgungsunterschiede sind kein rein deutsches Phänomen, sondern sie sind überall anzutreffen. Erfahrungen und Lösungsansätze aus dem Ausland können uns deshalb auch in Deutschland Anregungen geben, wie die Behandlungsqualität verbessert werden kann“, sagte Dr. Dominik von Stillfried, Geschäftsführer des Zi.
„Versorgungsforschung dient nicht primär dem wissenschaftlichen Diskurs, sondern soll Impulse zur Veränderung und Weiterentwicklung geben“, sagte Dr. Andreas Gassen, Vorsitzender des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Er betonte außerdem, dass es in erster Linie Sache der Ärzte ist, die Unterschiede zu bewerten und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und dem Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung (DNVF) durchgeführt. Prof. Rolf Kreienberg machte als Vertreter der AWMF deutlich, wie wichtig die Versorgungsforschung für die Erstellung und Weiterentwicklung medizinischer Leitlinien ist, und dass die Erforschung bestehender Versorgungsunterschiede einen wichtigen Beitrag dazu leistet. Prof. Matthias Schrappe vom DNVF attestierte dem Zi Weitblick, indem es vor einigen Jahren den regionalisierten Ansatz als einen Arbeitsschwerpunkt gesetzt hat. Schrappe rechnet damit, dass – wenn auch nicht direkt zu der aktuell anstehenden Wahl, aber möglicherweise danach – die Stärkung regionalisierter Versorgungskonzepte Eingang in die Agenda der künftigen Bundesregierung finden wird.

Dr. Klaus Hamm, stellv. Vorsitzender des BDR und Landesvorsitzender des BDR in Sachsen hat mit einer Autorengruppe der Arbeitsgemeinschaft der Programmverantwortlichen Ärztinnen und Ärzte in Sachsen (K. Hamm, U. Bayer, F. Behr, M. Diedrich, U. Englisch, R.-M. Geidel, K. Große, L. Kot) das Mammographie-Screening in Sachsen vorgestellt.

Einflussfaktoren auf die regionale ambulante medizinische Versorgung mit bildgebender Diagnostik bei der Erkennung von Brustkrebs bei Frauen in Sachsen

Das Mammakarzinom ist mit etwa 27% aller Krebsneuerkrankungen die häufigste Krebserkrankung der Frau. In Sachsen findet sich eine Prävalenz von 97,2 je 100.000 Frauen. Brustkrebs hat auch in Sachsen mit 14,7% den höchsten Anteil an den Krebstodesfällen.

Vor diesem Hintergrund wurde in Deutschland ein organisiertes, qualitätsgesichertes und bevölkerungsbezogenes Mammographie-Screening-Programm eingeführt. Der Aufbau war in Sachsen im Jahr 2009 abgeschlossen. Dabei findet sich in Sachsen eine über dem Bundesdurchschnitt liegende Akzeptanz mit überdurchschnittlichen Teilnahmeraten. Seit 2014 ist ein leichter Rückgang zu verzeichnen.

Mit der Verknüpfung struktureller, regionaler und sozioökonomischer Faktoren mit der bevölkerungsbezogenen Untersuchungsrate nach Altersgruppen soll nach Zusammenhängen mit einer neuerdings erkennbaren sinkenden Akzeptanz für das Brustkrebs-Früherkennungs-Programm gesucht werden.

Methoden

In den Jahren 2009 bis 2016 wurden nach Daten der KV Sachsen für 922.017 Frauen älter als 40 Jahre mit Hauptwohnort in Sachsen von den Vertragsärzten in Sachsen 2.395.495 Mammographien und Ultraschalluntersuchungen der Brust erstellt.

Nach Zuordnung zum Wohnort der untersuchten Frau werden die Untersuchungen nach der Erstellung unter kurativer Fragestellung und im Screening-Programm unterschieden. Außerdem wird nach dem Standort (Mammobil/Screeningpraxis) gegliedert. Für Altersgruppen werden regionale bevölkerungsbezogene Untersuchungsraten für zweijährige Intervalle berechnet.

Zur Prüfung von Zusammenhängen wurden die regionalen Kennwerte der Mittelbereiche

•Patientinnen je Frauenarzt

•Wegstrecke zum Frauenarzt

•Prävalenz für sonstige Neubildungen, Krankheiten der Mamma

•Prävalenz onkologische Erkrankungen

• Index sozioregionale Belastung

in Quartile gruppiert und Mittelwerte der Untersuchungsrate gebildet und verglichen.

Da sich ambulante Versorgung auch über die Mittelbereiche der Bedarfsplanung hinaus vollzieht, erfolgt eine Betrachtung von Verflechtungsgebieten in nicht administrativer Gebietsgliederung (BIK7).

Ergebnisse

Der Anteil der Frauen die bis zum 54. Lebensjahr mindestens einmal eine Screeninguntersuchung erhalten steigt kontinuierlich bis 2013/14.

Der Anteil kurativ mammographisch untersuchter Frauen sinkt von 2009/10 bis 2015/16 in den Altersgruppen bis 69 Jahre. Für Frauen im Alter von 70-79 hält sich die Untersuchungsrate bei deutlich über 10%. Die Untersuchungsrate in der Altersgruppe 55-69 Jahre ist über den gesamten Zeitraum niedriger und sinkt in 2015/16 auf den niedrigsten Wert. Es finden sich in Abhängigkeit von den regionalen Kennwerten unterschiedlich deutliche Veränderungen der mittleren bevölkerungsbezogenen Untersuchungsrate.

Dabei besteht ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen kurativer und Screening Untersuchungsrate. Die Rahmenbedingungen der frauenärztlichen Versorgung spiegeln sich unterschiedlich in der bevölkerungsbezogenen Untersuchungsrate wider.

Grundsätzlich sinkt die bevölkerungsbezogene Untersuchungsrate mit Größenzunahme der Region. In kleineren Regionen, die mobil in Screening versorgt werden, finden sich höhere Untersuchungsraten. In Ballungsgebieten wird ein mobiles Untersuchungsangebot weniger angenommen.

Diskussion/Schlussfolgerungen/Handlungsperspektiven

Ab dem Jahr 2015/2016 findet sich in Sachsen, durchaus differierend innerhalb der untersuchten Einflussfaktoren, für die Mammographie eine Absenkung der altersspezifischen Untersuchungsrate sowohl bei kurativen als auch bei Screeninguntersuchungen. Eindeutige Ursachen dafür sind innerhalb den untersuchten Parametern nicht zu finden. Ein Grund könnte die ab 2014 verstärkt einsetzende kontroverse Nutzen-Risiko-Diskussion zu Früherkennungsuntersuchungen in der Öffentlichkeit  sein.

Da sich die altersspezifische Untersuchungsrate der Mammographie in Sachsen von 2009/10 bis 2013/14 für die Altersgruppe der 50-54 jährigen bei nahezu 75% gehalten hat und in der Altersgruppe 55-69 Jahre ebenfalls um 72% liegt, dürften für Sachsen bei der anstehenden Mortalitätsevaluation deutliche Effekte zu erwarten sein, die aus der Umsetzung des Brustkrebs-Früherkennungs-Programms resultieren.

 

Den Vortrag von Dr. Hamm finden Sie beim ZI und auf unserer Webseite.


Dateianhänge
B2-31_Hamm_Frei_Zi_2017.pdf
Dateigröße 8,77 MB