Recht: Wann Patienten Anspruch auf Kopie ihrer Akte haben – und wann nicht
Freitag, 08. März 2024
Dtsch Arztebl 2024; 121(5): [2] Nölling, Torsten
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, unter welchen Umständen Patienten Anspruch auf eine Kopie ihrer Krankenunterlagen haben. Danach haben sie Anspruch auf eine erste vollständige und kostenlose Kopie ihrer „personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind“ (Urteil vom 26. Oktober 2023, Az.: C-307/22). Für jede weitere Kopie können Ärztinnen und Ärzte auch künftig ein Entgelt fordern. Hintergrund war ein Rechtsstreit zwischen einem Patienten und einer Zahnärztin in Deutschland. Dem EuGH zufolge gehören zur vollständigen Kopie die Dokumente der Patientenakte, die Informationen umfassen wie Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie Angaben zu vorgenommenen Behandlungen oder Eingriffen.
Informationen, die sie im Fall des Falles nicht an Patienten herausgeben dürfen, sollten sie als Bestandteil der Akte, jedoch getrennt von den übrigen Inhalten, dokumentieren. Auch wenn eine Selbstgefährdung insbesondere in der Psychiatrie und Psychotherapie relevant sein dürfte, kann diese und der Schutz der Rechte und Freiheiten Dritter in allen Fachgebieten Anlass sein, das Einsichtsrecht zu beschränken. Patientenrechtegesetz und Berufsordnungen Seit 2013 ist der Anspruch der Patienten auf eine Kopie der Patientenakte im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) gesetzlich geregelt (§ 630 g BGB). Danach haben Patienten Anspruch auf Einsicht in oder Kopie der vollständigen, sie betreffenden Patientenakte, „soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen“. Der notwendige Inhalt der Patientenakte ist normiert (§ 630 f Abs. 2 BGB). Danach ist der Behandelnde verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Arztbriefe sind in die Patientenakte aufzunehmen. Eine ähnliche Regelung findet sich in § 10 der Musterberufsordnung. Danach haben Ärztinnen und Ärzte ihre Feststellungen und getroffenen Maßnahmen aufzuzeichnen und Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen in die sie betreffende Dokumentation Einsicht zu gewähren, soweit dem nicht erhebliche therapeutische Gründe oder Rechte der Ärztin oder des Arztes oder Dritter entgegenstehen. Europäisches Recht und nationale Gesetzeslage Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gilt in der gesamten Europäischen Union unmittelbar. Ihre Regelungen gehen den nationalen Gesetzen vor, soweit sie nicht explizit etwas anderes regelt. Nationales Recht, das gegen die DSGVO verstößt, darf nicht angewendet werden. Nach Art. 15 DSGVO haben Patienten Anspruch auf eine „Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind“. Danach müssen Ärztinnen und Ärzte Patienten Kopien aller „personenbezogenen Daten“ übergeben, die bei ihnen vorliegen. Im Unterschied zu den Regeln des BGB haben Patienten damit keinen direkten Anspruch auf Kopie der Patientenakte, sondern allein auf die personenbezogenen Daten. Da diese aber laut EuGH „so umfassend herausgegeben werden müssen, dass sie dem Patienten ermöglichen, die Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten zu überprüfen und die Verständlichkeit zu gewährleisten“, ergibt sich auch aus Art. 15 DSGVO ein Anspruch auf eine Kopie der Unterlagen. Eine Zusammenstellung der Ärztin oder des Arztes reiche nicht aus, da Patienten in diesem Fall nicht prüfen könnten, ob die Kopien richtig und vollständig sind, begründet der EuGH. Erforderlich sei eine „originalgetreue und verständliche Reproduktion“ aller personenbezogener Daten. Auskunftsrecht darf eingeschränkt werden Dieses Auskunftsrecht darf aber die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen (Art. 15 Abs. 4 DSGVO). Auch dürfen die nationalen Gesetzgeber dieses Auskunftsrecht und damit den Anspruch auf eine Kopie einschränken, um die Rechte und Freiheiten anderer Personen zu wahren und um betroffene Patienten zu schützen (Art. 23 Abs. 1 lit. i DSGVO). Die zitierten Regelungen des BGB, wonach Patienten kein Einsichtsrecht haben, wenn erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige Rechte Dritter dem entgegenstehen, ist eine solche nationale Rechtsvorschrift. Sinn und Zweck dieser Regelung ist einerseits, Patienten vor Informationen über ihre Person zu schützen, die ihnen erheblich schaden könnten, zum Beispiel durch Selbstgefährdung. Andererseits sollen auch andere nicht gefährdet werden, etwa durch sensible Informationen über Dritte und deren Persönlichkeit, beispielsweise die Eltern von Patienten. Informationen über schutzwürdige Dritte Offenbaren müssen Ärztinnen und Ärzte hingegen dokumentierte persönliche Eindrücke oder subjektive Wahrnehmungen. Insbesondere wenn sie die Sorge vor einer Selbstgefährdung anführen, müssen sie den Gesundheitszustand der Patienten zum Zeitpunkt des Einsichtsverlangens in den Blick nehmen. Wenn dieser stabil ist, können sie die Einsichtnahme und damit eine Kopie nicht verweigern. Anderes gilt, wenn sie Informationen über schutzwürdige Dritte aufgezeichnet haben. Deren Rechte gelten unabhängig vom Gesundheitszustand der Patienten. Wenn Ärztinnen und Ärzte die Auskunft/Kopie aus diesen Gründen verweigern, müssen sie dies gegenüber Patienten begründen (§ 630 g BGB, DSGVO, Erwägungsgrund 59). Dr. iur. Torsten Nölling Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht Nölling – Leipzig – Medizinrecht 04229 Leipzig |